Jüngere Veränderungen in der europäischen Politik – etwa der Aufstieg sogenannter Bewegungsparteien sowohl links als auch rechts – machen ein Umdenken über die Zusammenhänge zwischen Protestdynamiken und der Transformation von Parteiensystemen erforderlich. In diesem Beitrag leisten wir einen Beitrag zum theoretischen und empirischen Verständnis der Mechanismen, die sich in Phasen intensivierter Wechselwirkungen zwischen Protest- und Wahlpolitik entfalten, anhand einer Fallstudie zur Transformation des ungarischen Parteiensystems. Wir fragen danach, welche Mechanismen das Engagement von Parteien in Protesten vor und nach dem Einzug ins Parlament antreiben. Im Fokus stehen zwei Wettbewerber: die radikal rechte Bewegung für ein Besseres Ungarn (Jobbik) und die grüne Partei Politik kann anders sein (LMP). Auf Grundlage eines Datensatzes zu Protestereignissen, der aus Berichten der ungarischen Nachrichtenagentur sowie aus offiziellen Polizeiregistern zusammengestellt wurde, kartieren wir das Protestnetzwerk, das von beiden Parteien zwischen 2002 und 2022 mobilisiert wurde. Analytisch unterscheiden und empirisch identifizieren wir drei unterschiedliche Mobilisierungsmechanismen: die Schärfung des Parteiprofils durch Proteste zu eigenen Kernthemen, die Nutzung von Protestmobilisierung zum Aufbau von Allianzen mit anderen Parteien und Akteuren sowie die Nutzung von Protesten zur Etablierung einer Präsenz auf lokaler Ebene. Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass Jobbik auf Proteste über eine Kombination verschiedener Mechanismen setzt, während LMP Proteste nutzt, um sein Themenprofil zu erweitern und Allianzen mit anderen politischen Parteien aufzubauen. Im Zeitverlauf stützen sich beide Parteien zunehmend auf Protest, um außerhalb von Budapest eine lokale Präsenz zu etablieren.